Baustart auf der Brache der alten Schraubenfabrik in Neuss

Neuss · Nach Kampfmittelsondierungen und ersten Erdarbeiten wird jetzt für die künftige Erdwärmenutzung gebohrt: Auf der Brache der alten Schraubenfabrik entsteht ein neues Quartier. 450 Wohnungen werden demnächst vermarktet.

 

Zehn Jahre nach der letzten Schicht im Werk und fünf Jahre nach dessen Abbruch ist das Areal der ehemaligen Schraubenfabrik wieder ein Arbeitsplatz. Aktuell werden dort Bohrungen zur Nutzung von Erdwärme durchgeführt, um das Versprechen einlösen zu können, ein klimaneutrales Quartier zu schaffen.

 

Für die in Troisdorf ansässige „P + B Group“ als Investor und Bauherr markieren die ersten von insgesamt 107 nötigen Bohrlöchern den Start für ein Bauprojekt, das den Neusser Wohnungsmarkt vor allem in einem ersten Schritt um 450 Wohnungen bereichern wird. 675 sollen es am Ende sein. Der Hochbau soll im kommenden Frühjahr starten – und damit auch die Vermarktung.

 

Wärme im Winter, Kühlung im Sommer

Bohrstellen Weil zwischen den Entnahmestellen für die Erdwärme ein ausreichend großer Abstand sein muss, damit sie sich nicht gegenseitig Wärme entziehen, wurden die 107 Bohrpunkte mit einem GPSgestützten System exakt eingemessen.

Bohrung Jedes Loch misst 17 Zentimeter im Durchmesser und wird 200 Meter tief. In das Loch wird die Sonde eingeführt, das Bohrloch am Ende mit einem speziellen Material verfüllt.

Ertrag Die klimaneutral gewonnene Erdwärme wird je nach Jahreszeit sowohl für die Wärme- als auch – dank des umgekehrten Kühlschrankprinzips – für die Kälteversorgung des Stadtquartiers genutzt.

 

Im vergangenen September hatte der Rat den Bebauungsplan für das gemischt genutzte Quartier „Grüne Furth“ gebilligt, aktuell sind die Bauanträge in Vorbereitung. Die Verwaltung sei sehr fix gewesen, Planrecht zu schaffen, sagte Bürgermeister Reiner Breuer beim Baustellentermin am Montag. „Jetzt nutzen Sie es auch“, fügte er an Markus Volk gerichtet hinzu. Das versprach der Geschäftsführer der „P + B Group“ prompt. Er stellte im Ergebnis einen neuen kleinen Stadtteil in Aussicht, in dem man leben, wohnen und arbeiten können wird – und das an zentraler Stelle in Neuss, in der Nähe zum Hauptbahnhof.

 

Der Nutzungsmix für das „Neuland“ getaufte Quartier sieht nach Volks Darstellung neben den Wohnungen ein Hotel und Gastronomie vor. Kitas, eine Großtagespflege und weitere soziale Infrastruktur, Raum für Kultur sowie Nahversorgung und Co-Working-Flächen zur gewerblichen Nutzung soll es ebenfalls geben. Offen ist noch, welche Funktion die erhalten gebliebenen Bestandsgebäude der Fabrik wie etwa das alte Kesselhaus haben werden. Sie sollen eine, so Volk, „vernünftige Nutzung bekommen“, also nicht nur eine Reminiszenz an gut 140 Jahre Neusser Industriegeschichte sein. Volk spricht von Fahrrad-Abstellanlagen oder Lagerflächen für die künftigen „Neuland“-Bewohner. Allerdings ist noch nicht abgemacht, wie viel der alten Gebäudesubstanz tatsächlich erhalten bleibt, merkte der Bürgermeister an. Natürlich werde es eine Landmarke geben, die an die Vorgängernutzung erinnert, stellte Breuer klar. Schließlich handele es sich um ein baukulturelles Erbe. Doch gemeinsames Ziel müsse eine wirtschaftlich zumindest halbwegs tragfähige Lösung sein.

 

In Vorbereitung einer kommunalen Wärmeplanung hatten die Stadtwerke schon vor zwei Jahren an einigen Stellen im Stadtgebiet das Potenzial zur Geothermienutzung ermitteln lassen. Für das Areal der Schraubenfabrik wurde es als hoch bewertet, allerdings reicht die Erdwärme nicht aus, um den Energiebedarf im Quartier zu decken. Zum Energiekonzept gehören daher Fotovoltaikanlagen auf den ansonsten begrünten Hausdächern zum Betrieb von Wärmepumpen. Dies und ein hoher Baustandard lassen die Verantwortlichen von einem nachhaltigen, weil klimaneutralen Stadtteil sprechen.

 

Das Konzept hat offenbar schon in der Papierform überzeugt, denn „Neuland“ – so bezeichnet, weil „P + B“ als Projektentwickler in vielerlei Hinsicht Neuland betritt – wurde schon im vergangenen Jahr als „Klimaquartier NRW“ ausgezeichnet und erhielt auf der Immobilienmesse Expo Real in München im Oktober 2024 das Zertifikat „Nachhaltiges Quartier“ der Deutschen Gesellschaft fü nachhaltiges Bauen. Und zwar in Platin.

 

Basis ist die Erdwärmenutzung, die sich aber nur mühsam erschließen lässt. Zunächst wird das Gelände auf das Bauniveau abgehoben, weil – um den Betonanteil zu reduzieren – die Gebäude weitgehend nicht unterkellert sind. Danach werden die Sonden zur Förderung der Erdwärme bis in eine Tiefe von 200 Metern getrieben. Das dauert gut eineinhalb Tage, sodass nur drei bis vier Bohrungen pro Woche abgeschlossen werden können – und sich die Arbeiten also bis zum Jahresende hinziehen werden. Mit Beeinträchtigungen für die Anwohner – etwa durch Lärm oder Erschütterungen – rechnet der Investor nicht.